Für Motorradfahrer, die selbst ihren Auspuff polieren, hatte ich bislang ja nur Spott übrig. Das hat sich jetzt geändert.
Den Tag morgens um 6:00 Uhr mit einer kalten Dusche zu beginnen, fällt in meinem Wertesystem in die Kategorie „unnötiger Masochismus“. Ich bekenne mich hiermit also, erstes Geständnis, öffentlich zur Warmduscherei.
Lieber nehme ich mir zwei Stunden Zeit fürs Wachwerden. Bislang unverständlich waren mir aber Schönwetterfahrer. Das liegt im Wesentlichen auch an der 800GS. Sie ist das Allwettermotorrad schlechthin. Und so sieht sie meist auch aus. Staub, Matsch, Insektenleichen. Mit dem Putzen käme ich sowieso nicht hinterher. Also belasse ich es bei einer Wäsche im Jahr. Die einzigen Teile, die poliert werden könnten, sind der Auspuff und die Alukoffer. Ansonsten blinkt da nichts. Soll es auch nicht. Blendet nur.
Schönwetterfahrer habe ich deshalb lange Zeit als subkulturelle, etwas skurrile Gruppe unter Motorradfahrern eingeordnet und, zweites Geständnis, nicht ganz ernst genommen. Das hat sich nun geändert. Und es hat mit meinem zweiten Motorrad zu tun. Der Royal Enfield.
Spiegelparade
Hätte es zu Ludwig XIV. Zeiten bereits Motorräder gegeben, er wäre zweifellos auf einer Bullet paradiert. Variante „Chrome“, versteht sich. Denn sie ist aufgrund der Lackierung so etwas wie ein fahrender Spiegelsaal. Und eignet sich damit hervorragend für eitle Attitüden.
Auf Fotografien beispielsweise ist zunächst ein Motorrad zu sehen. Auf den zweiten Blick spiegelt sich auf jeder Fläche und Rundung der Fotograf in kaleidoskopischer Vielfalt. Sozusagen eine zweirädrige Selfie-Funktion mit Motor.
Beim Kauf habe ich nicht darüber nachgedacht, was das für mich bedeuten wird. Wie eine geblendete Elster habe ich mich in einer ästhetischen Übersprungshandlung zu den Worten hinreißen lassen: „Genau diese hier.“ Denn Chrom, British Racing Green und ein wenig Goldgelb sind eine ausnehmend verführerische Farbkombination. Insbesondere, wenn die feinen Linien mit der Hand gezogen wurden.
Ernüchterung
Der ernüchternde Nachteil lautet: alles was so schön blitzt kann, erstens, schnell rosten. Zweitens sieht es nach ein paar Regenfahrten gammelig aus. Eine meiner ersten Ausfahrten im Nass endete deshalb auch im Zubehörmarkt. Polierpaste und Watte kaufen. Zum ersten Mal in meinem Leben.
Mit einem Mal habe ich Verständnis für all die bislang belächelten Auspuffputzer, die mit einem Staub- und Poliertuch am Wegesrand stehen, um noch ein paar Lichtreflexe in den Tank zu rubbeln.
Kindertatzen stehen übrigens ganz oben auf der Liste schmuddeliger Kontaminationsgefahren. Denn leider finden Kinder die Enfield genauso schön wie ich. Kürzlich entdeckte ich den liebevollen Abdruck einer fettigen Winzhand an der Seite. Wie das Emblem auf einem Indianerpferd. Auch das ein Kollateralschaden im Putzkrieg, den ich offenbar nicht gewinnen kann.
Spott gehört dazu
Mir begegnete allerdings auch ein Enfieldfahrer, der eine gänzlich andere Strategie verfolgt. Sein Motorrad darf überhaupt nicht geputzt werden. Sie ist gerade mal anderthalb Jahre alt, trägt aber bereits die Patina einer seit über 100 Jahren im Burgkeller gelagerten Weinflasche.
Als er mein kleines Schmuckstück so beäugte, ist mir das spöttische Spiel im Mundwinkel keineswegs entgangen. Aber für einen Konter war ich zu beschäftigt. Ich hatte damit zu tun, den Lack anzuhauchen und mit dem Ärmel nachzupolieren.
Lieber Gypsy Chimp
Wer schön sein will muss leiden. Mein Frau hat sich die selbe Maschine gekauft. Da Sauberkeit in ihrer Wertehierarchie bedrohlich weit ob steht, passt das zu ihr.
Ich finde eure Royal Enfields sind bzgl. Ästhetik die geilsten Modelle, die als 500er EFI produziert wurden. Ich habe mich trotzdem für Battle Green entschieden – schweren Herzens. Zum einen passt ein alter Zausel wie ich nicht auf so eine Schönheit. Das ist bei dir natürlich etwas ganz anderes.
Zum anderen schreibst du richtig, dass Fotos ein echtes Problem werden. Nicht nur wegen der automatischen Selfie-Funktion. Der Kontrastumfang von (im Sonnenlicht blinkendem) Chrom und Schwarz ist ebenfalls hammerhart.
Meine militärfarbene Maschine ist kontrastmässig im grünen Bereich. Und sie darf schmutzig aussehen. Das Grün fügt sich immer schön in die Natur. Die beste Fotofarbe hat ja Jürgen Theiner (www.motorprosa.com). Sein roter Feuerstuhl ist unübertroffen und leuchtet auf jedem Bild, wie ein Schmuckstück.
Überrings ich bin auch bekennender Warmduscher. Ein bisschen Kneipp am Schluss – mehr warmes Wasser darf es nicht sein.
Herzliche Grüsse
http://www.derhalbhartemann.com
P. S. Einen entscheiden Vorteil hat dein Motorrad. Bei Touren in fremde Länder wirst du mit soviel Glanz immer willkommen geheissen. Bei meinem Battelgreen wird man mich hingegen beim Grenzübertritt abfangen und prüfen ob ich unerlaubt Kriegsgüter einführe.
Auch als alter Zausel hat man ein Anrecht auf ein wenig Chrom! Mir hatte es zuerst die blaue Variante angetan, die bei der indischen Armee offenbar genau so noch im Einsatz ist.
Man muss nicht putzen. Fundstück am Straßenrand (vor 10 Jahren – vermutlich gibt es die Yamaha inzwischen nicht mehr):
https://www.ybrfreun.de/blog/x_fish/images/100305_01.jpg
Dann kann man auch in der dreckigen Jeans vor der Maschine stehen und Bilder machen – man sieht ja keine Reflexion. 😉
😀 Stimmt! Nicht putzen ist das neue Understatement. Mal sehen, wie meine Bullet in 5 Jahren aussieht.