Long live the queen!

Was kommt nach einer Königin? Richtig. Eine andere.

[Bild: Royal Enfield | motorradblog.de]

Die Verabschiedung von der R45 hat ein kleines Loch in unsere Garage und mein Herz gerissen. Eine BMW 800 GS ist wiederum zwar ein rundum gelungenes Motorrad, aber es fehlt, nun ja, etwas Flair. Die R45 war deshalb so etwas wie eine Königin in unserem kleinen Fuhrpark. Aber nun ist sie ja weg.

Erster Flirt

Auf der letzten IMot sind wir auf den ältesten, heute noch bestehenden Hersteller der Welt gestoßen. Einem kurzen Flirt mit der Bullet am Messestand folgte ein Ausflug zu den Jungs von Motospot in München. Eigentlich eingefleischte Vollenduristen. Aber neben den grobstolligen Erdferkeln stehen neuerdings auch Royal Enfields.

[Bild: Royal Enfield | motorradblog.de]
Wer mit der Selfie-Funktion nicht klarkommt, kann sich ja mal die Variante in Chrom ansehen.

Der Kontrast könnte nicht größer sein. Und doch passt es irgendwie. Denn Enfields und den Geländemaschinen ist eines gemeinsam. Die Reduktion aufs Wesentliche. Dabei kommen allerdings sehr unterschiedliche Ergebnisse heraus. Bei der Probefahrt springt sofort der Funke über und erzeugt Begeisterung. In vielen Aspekten ähnelt sie der R45. In vielen nicht. Jedenfalls soll, muss eine Bullet mit.

Pathos!

Einen Exkurs in die Motorradgeschichte Royal Enfields und der Bullet kann ich mir sparen, denn es gibt bereits sehr gute Texte und auch Fahrberichte. Nur so viel sei gesagt. Wer den Vergleich mit einer modernen Maschine anstellt, um dann festzustellen, dass eine Bullet der Zeit hinterherhinkt, hat nicht so recht verstanden, um was für ein Motorrad es sich hier handelt.

Eines ist aber sicher. Sie weckt Emotionen. Das bringt der DER HALBHARTE MANN, mit dem ich das Abenteuer einer neuen Bullet teile, auf den Punkt. Sie animiert zum Pathos, schreibt er. Das stimmt. Trockene Leistungsparameter wie die 27,2 PS bei 5.250 UpM oder das maximale Drehmoment von 41,3 Nm bei 4.000 UpM werden sehr schnell sekundär. Zu profan.

Eher sucht man den Vergleich zum indischen Pantheon. Der ist grandios unübersichtlich, aber wichtig ist: alle der ungezählten Gottheiten versinnbildlichen das eine göttliche Prinzip. Das bei der Bullet Fahrspaß lautet. Die englische Queen sagte mal: „I have to be seen to be believed.“ Das gilt auch für die Bullet. Man muss sie gefahren haben, um es zu glauben.

Hier steuert nur einer: der Fahrer

Zunächst steht das Einfahren des Motors auf dem Programm. 500 Kilometer mit einer maximalen Geschwindigkeit von 70 km/h und möglichst häufigem Umdrehungswechsel, ohne an die Obergrenze zu gehen. So die Empfehlung. Von Anfang an sind Feingefühl und Gehör gefragt. Denn ein Drehzahlmesser fehlt. So wie jeder andere Schnickschnack auch. Die Maschine hat ABS und elektronische Einspritzung. Punkt. Das war’s. Dafür aber, jaha, einen Kick-Starter.

[Bild: Royal Enfield | motorradblog.de]
Kick it! Nach sechs Versuchen habe ich den Dreh raus.

Das Cockpit finde ich wunderschön. Kein buntes Display, keine digitale Anzeige mit unzähligen Funktionen und Informationen, die ich, das weiß ich nun, auch nicht vermissen werde. Ich wähle meine häufig gefahrenen Strecken: Bayrischzell, Tatzelwurm, Kufstein, Thiersee am ersten Tag und am zweiten einen Ausflug zum Plansee.

[Bild: Royal Enfield | motorradblog.de]
Alles da, was man braucht.

Die Enfield ist das perfekte Alpenmotorrad, denn das Handling ist traumhaft, das Fahrwerk ist solide. Fast ein wenig wie ein Fahrrad, trotz der rund 190 Kilo Leergewicht. Allerdings ist in Kurven Präzision gefragt. Dann aber erreiche ich eine sehr passable Performanz. Das sind die kleinen Momente des Triumphs, denn hier hole ich trotz der vorübergehenden Höchstgeschwindigkeit von 70 den ein oder anderen wieder ein, der vorher noch mit viel Hallo an mir vorbeigezogen ist.

Keine Filter

Zudem reagiert der Motor aufgrund des hohen Drehmoments souverän. Für Schaltfaule eine prima Sache. Aber ich muss mich erst daran gewöhnen, ständig überholt zu werden. Obwohl ich ja eigentlich fix unterwegs bin. Das wird mir auf der Bullet sehr bewusst. 70 km/h erscheinen lächerlich. Aber wer auf einem Motorrad sitzt, das so gut wie alles ungefiltert an den Fahrer weitergibt, der rückt seine Parameter wieder zurecht.

Das verstehen natürlich die anderen Verkehrsteilnehmer nicht. Weder die Autofahrer, die vollkommen abgeschirmt von hinten Druck aufbauen und teilweise so dicht auffahren, dass ich im Rückspiegel die Fliegen auf dem Kühlergrill zählen könnte. Und offenbar auch nicht viele Motorradfahrer, die scharf überholen. Insbesondere auf dem Weg von Ettal zum Plansee.

[Bild: Royal Enfield | motorradblog.de]

Auf der Strecke werden manche, ansonsten artige Familienmütter und -väter, zu Wochenendrennfahrern. Nicht nur einmal kommen mir Autos und Motorräder im Frontalkurs entgegen, um dann im letzten Schreckmoment mit einem uneleganten Schlenker auf die eigene Seite abzudrehen. Wunschvorstellung trifft Realität. Dem ist nur mit Gleichmut beizukommen, der bei dieser Jungfernfahrt ohnehin gefragt ist. Langsam dämmert mir, was Linne meinte, als er von Charakterschule sprach.

Die ansonsten schnell absolvierten Transferstücke erscheinen mir jetzt sehr lang und noch öder als sonst. Mit den 70 km/h eiere ich so dahin. Recht komfortabel sei angemerkt. Die Sitzhaltung ist ohne Vergleich. Die Fußrasten liegen weit vorn, die Haltung ist aufrecht, der lustige Fahrradsattel geradezu bequem. Man thront. Allerdings nur in 79 cm Höhe, denn die Maschine ist tief gebaut.

Eine Einladung in Stahl

Ich verlasse meine ausgetretenen Pfade und biege auf den nächstbesten Seitenweg ein. Und werde belohnt. Allein an diesem Wochenende mache ich drei neue und ungeahnte Entdeckungen. In einer Gegend, die ich meinte, wie meine Hosentasche zu kennen.

[Bild: Royal Enfield | motorradblog.de]
Auf Abwegen unterwegs. Und ein wenig Schotter schadet auch nicht.

Dazu lädt die Bullet geradezu ein. Sie ist da zuhause, wo andere meist nicht unterwegs sind. Es ist das perfekte Motorrad für schmale und allerschmalste Sträßchen und Wege, zum Erkunden, Nachsehen, neugierig sein, zum Anhalten und Verweilen. Es ist ein Motorrad für Genießer. Wenn man dieses Merkmal erst einmal verstanden hat, dann ist sie eine Einladung, direkt vor der Haustür auf Entdeckungstour zu gehen.

Frequenzen

Am zweiten Tag, schon auf dem Rückweg, erreiche ich endlich die magischen 500 Kilometer. Und nun lerne ich eine neue Seite des Motors kennen. Der Maschine ist das charakteristische Tackern eines Einzylinders eigen. Aber im Vergleich zu anderen Modellen ist da ein anderer Grundton eingemischt. Während der Fahrt mache ich mir die ganze Zeit Gedanken, wie man dieses Geräusch am besten beschreiben könnte. Es ist ein verhaltenes Tuckern, ein wenig wie beim Schiffsdiesel eines Fischerkahns. Nur zurückhaltender, gedämpfter und mit weniger Volumen. Im Stand wirkt es, als würde die Bullet den Zeigefinger an die Lippen legen und, so leise wie es eben geht, ihren Herzschlag in die Welt hinausflüstern.

Nun aber, jenseits der 500 Kilometer, will ich wissen, was passiert, wenn man die 499 Kubik ein wenig scheucht. Auf die Drehung am Gasgriff reagiert die Bullet überraschend. Einen kurzen Moment scheint sie in sich zu gehen, sich zu sammeln, die Muskeln zu strecken – und dann macht sich das eigentliche Charakteristikum des Motors bemerkbar, das mir in Zukunft sicher noch große Freude bereiten wird.

Sie kann auch zornig

Irgendwo von ganz tief unten her, aus dem unteren Drehzahlbereich heraus, baut der Langhuber seine Energie auf. Das brave und freundliche Hämmern verwandelt sich in zorniges Brüllen. Es ist ein wenig so wie der Start einer Mondrakete. Die Kraft wird unter Getöse aufgebaut, der Schub kommt aber etwas später. Bei 27 PS ist dieser Vergleich natürlich objektiv betrachtet vermessen. Für denjenigen, der fährt, ist er angemessen. Und es macht höllischen Spaß!

[Bild: Royal Enfield | motorradblog.de]

So brause ich dahin. Ja, genau, mit einer Bullet braust man wieder. Vielleicht gehen mir deshalb in diesem Moment Persönlichkeiten der frühen Motorradgeschichte durch den Sinn. Personen wie beispielsweise T. E. Lawrence, James Dean und Marlon Brando, die bis heute das mediale Bild vom Motorrad mitprägen. Sie waren auf ganz ähnlichen Motorrädern unterwegs, wie ich gerade jetzt. Und so fühlt es sich an. Wie eine kleine Zeitreise zurück zu den Wurzeln.

Leider muss ich auch an George Orwell denken, der selbst eine Royal Enfield fuhr. Mit der soll er ständig liegengeblieben sein. Aber wenn bei mir aufgrund einer Panne nur ein halbwegs akzeptabler Text herausspringen sollte, dann will ich auch das in Kauf nehmen.

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11 Comments

    1. Die Continental hätte ich am liebsten auch gleich mitgenommen. 🙂 Aber ich finde, die Bullet treibt es einfach auf die Spitze.

  1. Top! Wünsche Dir unzähligen, entschleunigten Brause-Spaß mit Ihrer Majestät! Möge sie sich niemals als royale Gebieterin aufspielen und das Zepter höchstselbst in die Hand nehmen wollen.

  2. Yeah, Chimp!
    Congratulation! Und meine ganze Bewunderung für den Mut zum Rückschritt. Jetzt bewegt dich eine richtige Zeitmaschine.

    LIEBEn Gruß
    rudi rüpel

  3. Ich bin gestern frierend und müde von meiner esten 120 km-an-einem-Stück-Tour zurück gekommen und heute morgen plagt ein Krampf mein Bein. Dein Text aber wärmt mein Herz und löst alle Krämpfe. Ja, Royal Enfield ist Emotion und Pathos. Allerdings ist eine Royal Enfield auch ein fahrendes Verkehrshindernis. Dem müssen wir uns bewusst sein. Gestern zum Beispiel, hätte mich eine Dame aus Ungarn beinahe aus dem Sattel geschleudert. Sie musste laut hupenden bremsen um nicht aufzufahren. Mit so etwas langsamen, mitten auf der Strasse hatte sie wohl nicht gerechnet. Ich habe nun Spiegel am Griffende um besser zu sehen was, wie schnell von hinten kommt. Das macht das Motorrad nicht schöner, aber sicherer.

    In deinem Text habe ich etwas gelesen, was mich sehr freut. George Orwell ist Enfield gefahren. Das habe ich nicht gewusst und es bewegt mich. Das Fahrzeug passt zu ihm, denn die Enfield war damals das Motorrad der Arbeiterklasse. In den 1980er Jahren, hatte mich Orwells Buch „Erledigt in Paris und London“ sehr beeindruckt. Davon animiert bin ich mit einem Kumpel nach Paris getrampt um als Clochard umherzuziehen. Leider ist mein Kumpel in die Drogenszene geraten. Ich bin dann mit einem alten Fremdenlegionär losgezogen und habe von ihm gelernt auf der Strasse zu überleben. Auch habe ich sehen können, wie furchtbar eine posttraumatische Belastungssgörung sein kann, wenn sie jahrelang nicht behandelt wird. Danach habe ich den Kriegsdienst verweigert. Danke für die Emotionen und Erinnerungen die mich Dank deines Textes durchströmen. Ich wünsche uns beiden viele grosse und kleine Abenteuer auf diesem wunderbaren Motorrad.

    Herzlich
    http://www.derhalbhartemann.com

    1. Als Clochard in Paris?! Das ruft nach einem Beitrag!!
      Heute bastle ich ebenfalls Spiegel an die Lenkerenden. Bin gespannt auf das Ergebnis. Wenn es nichts taugt, muss wohl ein breiterer Lenker her.

  4. … wie herrlich! Das weckt auch bei mir Erinnerungen, allerdings nur sehr vage: ich durfte damals mit noch nicht einmal 18 Jahren auf einem Waldweg das Heiligtum meines damaligen Freundes bewegen, vielmehr bestand er darauf. Er sah in mir ein großes Talent was motorisierte Zweiräder anging, trotzdem ich mir gerade erst die Wade am Auspuff versengt hatte. Also nahm ich all meinen Mut zusammen und willigte ein, es mal zu probieren. Die MZ ETZ 250 war für mich zu der Zeit ein Monstrum, war ja auch keine Königin. Ja, mit der kleinen 50er Simson kam ich ganz gut zurecht, auch wenn sie immer ausging und ich sie alle paar hundert Meter neu ankicken musste. Aber diese MZ, in wunderschönem blau, sie hätte mir fast das Bein gebrochen. Den Kickstarter habe ich noch in übler Erinnerung. Das Fahren selber: wild, die Kupplung ging schwer, das Gas nicht einfach zu dosieren, eine rumpelige Angelegenheit und ein recht kurzes Vergnügen auf dem Waldweg. Immerhin ist es gut gegangen. Ich sehe aber keinen Zusammenhang, dass ich danach gut 20 Jahre brauchte um endlich den Motorradschein zu machen.

    Viel Spaß Dir mit deiner Queen und hoffentlich ein paar hübsche Geschichten für uns 🙂

    sonnige Grüße
    Suse

    1. Danke Dir! Das Schöne am Kickstarter der Bullet ist, dass er, ganz buddhistisch gestimmt, nicht zurückschlägt.

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