Was ist ein Motorrad?

Blöde Frage? Dachte ich auch erst. Meist hilft im Zweifel ja ein schneller Blick ins Lexikon. Bei einem Motorrad merkwürdigerweise nicht.

[Hier ist eigentlich ein Bild: Motor einer "Lutetia".]

„Wenn die Worte nicht stimmen, dann ist das Gesagte nicht das Gemeinte.“

Wird irgendwo Konfuzius zitiert, werde ich misstrauisch. Denn nicht nur im Netz kursieren Sinnsprüche, die sowohl ihm, Goethe als auch Kennedy zugeschrieben werden.

Das macht an dieser Stelle aber nichts. Denn der Satz wurde gesagt, ist gut und stammt ausnahmsweise tatsächlich von Konfuzius.* Was meint er damit? Dass wir uns mit den Eigenschaften von etwas vertraut machen sollen, um zu präzisen Beobachtungen und Aussagen zu finden. Ansonsten würden unsere Worte und Gedanken nur wie Nebel dahinwabern.

Reifen. Motor. Fertig

An anderer Stelle habe ich mich gefragt, was ein Motorrad eigentlich ist. Die Frage meinte ich ernst. Auch wenn sie ein wenig abstrus wirkt. Wer sie spaßeshalber einer größeren Gruppe von Motorradfahrern stellt, muss schon den richtigen Moment abpassen. Ansonsten stößt man auf Unverständnis.

Das ist nicht erstaunlich. Zwei Reifen, etwas größerer Motor. Fertig ist das Motorrad. Wikipedia sagt dazu folgendes:

„Ein Motorrad ist üblicherweise ein einspuriges Kraftfahrzeug mit zwei Rädern und einem oder zwei Sitzplätzen. […] Krafträder [sind] zweirädrige Kraftfahrzeuge mit oder ohne Beiwagen, mit einem Hubraum von mehr als 50 cm³ im Falle von Verbrennungsmotoren, und/oder mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von mehr als 45 km/h.“

Klarheit bekommen hier eigentlich nur Zulassungsbehörde und Finanzamt. Ansonsten gibt es eine satte Grauzone. Die übrigens der Grund für die unscharfen Statistiken zu Zulassungszahlen und Fahrzeugbestand in Deutschland ist. In der Duden-Redaktion scheint es überhaupt keine Motorradfahrer zu geben. Man könnte fast meinen, dass Gottlieb Daimler höchstpersönlich zu uns sprechen würde:

„Im Reitsitz zu fahrendes, einspuriges, zweirädriges Kraftfahrzeug mit einem Tank zwischen Sitz und Lenker.“

Alles klar? Nein!

Nun wird’s kniffelig. Das erste in Serie hergestellte Motorrad hatte zwar 1.500 Kubik, aber gerade mal 2,5 PS. Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts hergestellten Maschinen von Indian könnten wir ohne weiteres im Fahrradständer beim Bäcker abstellen. Es fiele nicht weiter auf.

Schließlich würden die meisten Passanten eine Powerplus von 1914 kaum von einem Schwabinger Citybike mit Hilfsmotor unterscheiden können. Natürlich nur, solange der Motor nicht läuft.

Immerhin weist das E-Bike meiner mittlerweile betagten Mutter nahezu ähnliche Leistungsparameter auf. Und zwar so gut wie wartungs- und pannenfrei. Leistung ist also nicht das entscheidende Kriterium. Ein Gilera GP 800 bringt es mit 800 Kubik auf 75 PS und soll satte 200 km/h erreichen. Ist und bleibt aber dennoch Roller.

Ist er das wegen der Sitzposition? Oder der Verkleidung? Kann nicht sein, denn beides unterscheidet sich nicht allzu sehr von einer Goldwing. Das ist es also auch nicht.

Die Anzahl der Räder? Ein Gespann hat drei. Genauso wie eine Yamaha Niken. Und der so häufig als erstes Motorrad gehandelte Reitwagen von Daimler war mit seinen Stützrädern streng genommen gar kein Zweirad.

Auch die Fahreigenschaften sind es nicht. Bei der Wedelei durch Serpentinen wird ein Großraumroller locker an einem ausgewachsenen Chopper vorbeiziehen. Und Cruisen? Kann man auch mit einem Heinkel Tourist.

Wenden wir uns dem Antrieb zu. Sehr viele Motorradfahrer beäugen die Entwicklung in der E-Industrie – wenn überhaupt – nur beiläufig. Als vollwertiger Ersatz wird eine Maschine mit elektrischem Antrieb offenbar nicht gewertet. Manch einer in meinem Bekanntenkreis hat den Boykott bereits angekündigt. „Entweder ein richtiges Motorrad oder gar keins!“ Was zu einem richtigen Motorrad fehlt, sagen uns diese Definitionen aber nicht.

Ein Versuch

Ich will es deshalb mit einer anderen, halbwegs ernst gemeinten Beschreibung versuchen:

„Technisch betrachtet ist ein Motorrad ein meist zweirädriges Fahrzeug mit Motor. Eine gelungene technische Konzeption ist Voraussetzung und Grundbedingung. Nicht aber das entscheidende Kriterium. Ein Motorrad bestimmt sich vielmehr über die Symbiose aus Mensch und Maschine. Deshalb erkennen Motorradfahrer ein richtiges Motorrad im Unterschied zu anderen Menschen sofort. Zweifelsfälle sind selten. Und müssen Probe gefahren werden.“

*Quelle: 名不正,则言不顺. Analekte des Konfuzius (论语·正名).

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6 Comments

  1. Zumindest in Süddeutschland wird auch eine 1200er noch als »Mopped« bezeichnet. Also ist in der Mundart nicht mal geklärt wo Mopped aufhört. 😀

      1. Gypsy Chimp,
        ich glaube man schreibt es so, wie man es spricht. Ich weiß nur nicht wie man ein großes äm spricht.
        LIEBEn Gruß
        rudi rüpel

  2. Was ist mein Motorrad?
    Es hat eine Seele. Es hat Charakter. Es hat ein Geschlecht. Es hat mehrere Identitäten und Namen. Es hat eine Nationalität. Es hat mehrere Berufe.
    Sie ist eine Schönheit mit Stil. Sie ist skurril. Sie hat Geschmack. Sie ist eine Zeitmaschine. Sie ist meine Sexmaschine. Sie ist sehr langsam und trotzdem schnell. Sie hat keine Leistung ist aber stark. Sie ist unbequem und bietet Komfort.
    Manchmal reden wir sogar miteinander. Wir sind eine Einheit.
    Wir sind alt und out.
    AMEN und LIEBEn Gruß
    rudi rüpel

    1. Rudi, ich habe gute Nachrichten: „alt und out“ ist wieder in! Und ja, ich stimme zu, die meisten Motorräder sind ohne Frage lebendig! 🙂

  3. Moin GC,
    ein sehr lesenwerter Erklärungsansatz! Ein Motorrad ist halt (noch) eine Symbiose aus Stahl und Feuer und hat daher für mich etwas elementares. Ein Soziologe meinte, im Menschen stecken noch ungefähr acht Prozent Genmaterial aus dem Neandertal und die Herrschaft über das Feuer bot schon damals Sicherheit. Ich vermute, in Motorradfahrern, egal welchen Geschlechts, liegt ist dieser Prozentsatz höher.
    In diesem Sinne
    Ride + Write On!

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