Der lange Weg zum kurzen Abschied, Teil II

Liebe wird meistens unterschätzt. Vor allem zu einem Motorrad. Wie Bryno nicht zuletzt dank dem Austausch mit Gleichgesinnten eine Lösung für sein Luxusproblemchen gefunden hat.

[Bild: Herbert | motorradblog.de]

Der Berg ruft

Für den großen Törn aus der norddeutschen Tiefebene in und durch die Alpen habe ich mich entschlossen, meinen alten Freund Herbert, eine 98er Yamaha XJR 1200, zu Hause zu lassen und ein gutes, gebrauchtes Tourenbike zu kaufen. Etwas Dickes sollte es wieder sein. Mit ABS, da bestand meine Frau drauf.

Also habe ich munter verschiedene Motorräder getestet. Die Odyssee ging von Yamahas FZ1, MT01, MT09 Tracer über Suzukis Vstrom 650 und 1000 sowie Hondas CBF 1000, auch BMW F 800 GT schließlich hin zu einem dicken Reihenvierer.

Dick. Aber nicht fett

Diese Art der souveränen Kraftentfaltung fasziniert mich immer noch am meisten. Ich stehe auf Dampf aus dem Drehzahlkeller. Das Motorenkonzept ist nicht mehr en vogue und gehört in der 1-Liter-Plus-Hubraumklasse zur aussterbenden Art. So wie bei der XJR. Und ich brauche keine fünfstelligen Drehzahlen, um breit zu grinsen.

Die Auswahl guter bezahlbarer Drehmomentsurfer ist übersichtlich und ich bin schnell über ein zig-fach bewährtes Modell gestolpert. Die GSX 1250 FA von Suzuki ist nichts anderes als das Brot- und Buttermotorrad GSF 1250 Bandit, nur dass die GSX nicht Bandit heißen darf und mit schnittiger Vollverkleidung, neu gestaltetem Cockpit und zusätzlichem Lüfter daherkommt. Suzuki hat lediglich tief ins eigene Teilelager gegriffen und seinen Dauerbrenner aufgepeppt.

Das Objekt meiner Begierde stand bei einem Händler in Brandenburg und war schon mit allem ausgestattet, was ich mir für ein Tourenbike wünsche: 2 Koffer, Varioscheibe, Superbikelenker auf Risern, Heizgriffe, Bordsteckdose, Sportauspuff, dazu noch serienmäßig eine höhenverstellbare Sitzbank und ABS. Aber kein Topcase! Das verunstaltet wirklich die Linie eines jedes Motorrads.

Mehr ist nunmal mehr

Berühmt ist dieser Suzuki-Big-Block für seine erstaunliche Drehmomentkurve. Bereits bei 2000 Touren liegen 100 Newtonmeter an. Das bleibt auch so, bis die Nadel die 7000 Umdrehungen erklimmt. Genau mein Beuteschema.

Während der Überführung habe ich sie gar nicht so hoch gedreht, sondern bin in entspannten Drehzahlregionen geblieben und habe mich an der schieren gewaltigen Kraft erfreut, die dieser Reihenvierer in wirklich jedem Moment abgibt.

Eine Ganganzeige macht in diesem Falle Sinn, denn egal ob vierter, fünfter oder sechster Gang – ein kurzes Lupfen am Gasgriff und schon wird vehement nach vorne marschiert. Da hüpft das Herz! So etwas habe ich gesucht. Und gefunden.

Nachdem alle Formalitäten beim Händler in Wittenberge erledigt waren, ging’s ab nach Hause. Ich wunderte mich über das Rumgeeier der GSX in den Kurven, habe es aber dem neu zu erfahrenden Motorrad und den starken Windböen zugeschrieben. Außerdem ist in der Presse nachzulesen, dass sich die 1250er unpräzise in den Kurven verhält und eine starke Hand braucht. Nun gut, gewöhnungsbedürftig fand ich es trotzdem.

Bei nächster Gelegenheit haben wir dann lieber doch noch den Luftdruck kontrolliert. Mir blieb fast die Spucke weg: 1,5 bar vorne und 2,0 hinten! Wie bitte?!?! Die Milchgesichter schicken mich auf einem Big Bike mit viel zu wenig Druck in den Reifen auf den Heimweg? Bei diesem Sicherheitsthema hört der Spaß auf! Wieder mal zeigt sich: Vertrauen ist gut, Luftdruckkontrolle ist besser.

Also, die notwendigen 2,5 bar vorn und 2,9 hinten aufgepumpt und ich fuhr auf einer neuen Maschine. Der Unterschied war unglaublich. Jetzt war wirklich alles gut.
Die GSX hängt super am Gas, läuft kalt dank betreutem Trinken (Einspritzung) dauerhaft und konstant rund, lässt sich mit dem breiten Lenker geschmeidig durch die Kurven zirkeln und zieht bei höheren Geschwindigkeiten unbeirrt ihre Bahnen über schlechten Belag. Wow! Da kommt mein alter Freund Herbert nicht mit.

Der jedoch entscheidende Unterschied: Die zwölf Jahre jüngere GSX ist ein Vernunftkauf gewesen, während die XJR nach langen Jahren der Abstinenz das langersehnte Traummotorrad war. Außerdem war Herbert das erste Big Bike, das ich je gefahren habe und welches mich umgehauen hat. Ein Motorrad im klassischen Design ohne Schnickschnack.

Herbert hat Ecken und Kanten, eine Schnellzugdampflok im Vergleich zur vollverkleideten GSX, die eher einem aalglatten ICE gleicht. Aber die Suzuki liefert genau das, was in etlichen Testberichten nachzulesen ist. Das Überraschungsmoment wie bei Herbert kann sie allerdings nicht bieten. Nicht falsch verstehen, die GSX ist eine formidable Kiste. Beste Freunde findet man ja selten innerhalb von fünf Minuten. Da helfen viele Kilometer und beherzter Kurvenswing.

Und Herbert?

Die Staffelübergabe ist vollzogen, ich bin die letzten Wochen mit wachsender Begeisterung auf der Suzi gefahren. Doch von Herbert kann ich nicht so schnell lassen. Er wird gehegt, gepflegt, weiter gefahren und vorerst nicht verkauft. Basta!

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