Vertragen sich eine ökologische Grundhaltung und Motorradfahren? Offenbar ja. Gedanken zur individuellen Ökobilanz am Lagerfeuer. Zu Besuch bei Kuhle Wampe.
Es gibt tatsächlich ökologisch bewusste Motorradfahrer. Man muss nur genau hinsehen. Mir kommt Otto in den Sinn, dem ich vor ein paar Jahren auf einem Motorradtreffen von Kuhle Wampe* begegnete. Ein aktionsreicher Tag, Lagerfeuer, Bier, freundliche Menschen.
Wir landeten bei den Themen Energiewende, Klimawandel, CO2-Bilanz und sinnvoller Konsum. Irgendwann wollte ich sticheln: „Motorradfahren? Klimaschutz? Passt nicht!“
Ich war überrascht, mit welcher Überzeugung Otto die These präsentierte, er würde als Motorradfahrer aktiv etwas für den Umweltschutz beitragen. Otto ist mit einer 1990 produzierten Moto Guzzi 1000 Le Mans unterwegs. Die er, ich weiß nicht weshalb, Erna nennt.
Ein Meisterwerk des Schraubens
Er und Erna sind seit 28 Jahren ein Paar. In dieser Zeit hat Otto mit wahrscheinlich jeder einzelnen Schraube und jedem Dichtungsring Bekanntschaft gemacht. Die Maschine wurde mehrmals auseinandergebaut und wieder zusammengesetzt. Er hat geschustert, geflickt und ausgetauscht. Ein kleines Meisterwerk des Schraubens ist dabei herausgekommen. Auf den ersten Blick unscheinbar, ein hässliches Entlein. Aber für Kenner eindeutig – es handelt sich um ein Prachtstück der Werterhaltung.
Ottos Ansatz sieht folgendermaßen aus. Mit jedem zusätzlichen Lebensjahr der Maschine ist seine persönliche Ökobilanz besser. Klar, das ist eine relative Angelegenheit. Denn die Gleichung geht nur für den auf, der die (deutsche) Konsumkultur gegenüberstellt. Über die Sammelwut und den Aufbewahrungskult der Generation meiner Eltern und Großeltern lächeln wir ja nur müde. Über das „Ist doch noch gut!“ oder „Wer weiß, wofür wir das noch mal gebrauchen können!“
Stattdessen ersetzen wir durch Neues, wenn etwas nicht mehr funktioniert. Möglichst größer, schöner, besser, schneller. Die Schraubermentalität unter Motorradfahrern, ehemals Selbstverständlichkeit, beschränkt sich mittlerweile auf eine überschaubare Szene.
Was sicher auch mit der zunehmend komplexen Technologie zusammenhängt. Die omnipräsente Elektronik einer modernen Maschine ist für mich Durchschnittsfahrer so etwas wie die Büchse der Pandora. Bloß nicht öffnen! Ein wohlmeinender Werkstattmensch empfahl mir kürzlich sogar allen Ernstes, die Finger vom Kühlwasser meines Autos zu lassen. Vor Staunen habe ich vergessen nachzufragen, was genau da eigentlich schiefgehen kann.
Konsumverzicht als Umweltbeitrag
Otto jedenfalls ist ein Meister der Nachhaltigkeit, wenn es um seine Erna geht. Und sonst wohl auch. Konsum versucht er auf das Wesentliche zu beschränken. Otto könnte sich als hervorragend verdienender IT-Experte ohne Weiteres einen Oberklassewagen und zwei brandneue Motorräder aufs Grundstück zu stellen. Er bleibt aber auf dem Teppich.
Seinem Teppich. Im Winter fährt er einen gleichsam ehrwürdigen Golf. Im Sommer eben Erna. Unspektakulär und solide. Mehr Hubraum, Durchzug, Nanometer, Farbe? Interessiert ihn alles nicht. Prestige? Status? Auch nicht.
Mit dieser Einstellung bleibt er gleichsam im Schatten von Kampagnen und Heilsversprechen jeglicher auch noch so gewieften Marketingstrategie. Der stolze Blick des Nachbarn (alle zwei Jahre) aus dem neugekauften SUV? Spielt keine Rolle. Keine gezückten Handys, wenn er seine Maschine vor der Eisdiele abstellt? Würde nur nerven.
Bei so viel Stoizismus war ich schließlich sprachlos. Eine, ja, eine Sache aber stört ihn dann doch. Das diejenigen, die in der Lage sind, Erna als das zu erkennen, was sie in seinen Augen ist – ein Meisterwerk eben – dass diese kleine Gruppe von Eingeweihten und Könnern langsam auszusterben scheint.
*Siehe die Website des seit 1978 bestehenden und seitdem linkspolitisch aktiven Verbands Kuhle Wampe. Der erste Club gleichen Namens wurde zwei Jahre früher gegründet.