Selektives Grüßen

Grüßen. Ja? Oder nein? Wer wird von wem gegrüßt? Und wer nicht? Ein Beitrag zu einem immer wiederkehrenden Diskussionsthema unter Motorradfahrern.

[Hier ist eigentlich ein Bild: Zwei Motorradfahrer auf ihren Maschinen, die den Betrachter grüßen.]

Beim Schnauferlwirt (ehemals Café Kotz) nahe Bayrischzell lässt sich gut diskutieren. Auch wenn man alleine unterwegs ist. Es ist nämlich so, dass der Wirt bei überschaubarer Gästezahl und guter Laune alle an einem einzigen der großen Holztische zusammentreibt.

Meistens geht das gut. Denn über Beschleunigungswerte, Fahrwerksqualitäten, Streckensperrungen, die Regentauglichkeit von Textilkombis, Tourenplanungen usw. lässt sich ja eigentlich immer sprechen. Benzin eben. Neulich auf der Agenda: Grüßen. Als Gesprächspartner auf Augenhöhe war ich schnell aus dem Rennen.

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BMW-Fahrer?! Grüßen generell nicht!“ – „Genau! Die nehmen die Hände nur von der Stange, wenn die Griffheizung zu heiß geworden ist.“ Lachen.

Einem Harley-Fahrer erging es nicht anders. „Harley-Fahrer grüßen ja auch nicht!“ – „Wie auch, die müssen immer aufpassen, dass ihnen die Karre nicht auseinander fällt, wenn sie den Lenker loslassen!“ Lachen.

Also gut, wir waren weise genug, uns noch einen Kaffee zu holen und zu warten, bis wir wieder ungestraft mitreden durften. Im Boot waren wir, als weitere Nichtgrüßer genannt wurden: Oldtimerbesitzer. Und Gespannfahrer. Bei Letzteren waren wir uns uneins, ob das überhaupt als Motorrad zu werten ist.

Auch bei hubraumstarken Rollern gingen die Meinungen auseinander. Ansonsten, so bestand Einigkeit, grüßen eigentlich alle jeden. Oder, nein, eigentlich dann doch wieder nicht. Es scheint drei wesentliche Einflussfaktoren zu geben:

  1. Jahreszeit und Wetter,
  2. Region,
  3. Erfahrung.

Bei Wind und Wetter

Zunächst zur Jahreszeit: Winterfahrer grüßen Winterfahrer. Das ist so gut wie sicher. Wenn aber die Saison im Frühling beginnt, sieht man sie allenthalben nur sehr mürrisch die Finger bewegen, während der Rest vor Begeisterung und Winkerei fast vom Motorrad rutscht.

Ähnlich verhält es sich mit dem Wetter. Begegnen sich Hartgesottene in strömendem Regen, während alle anderen ihre Chromteile polieren, dann wird die Hand komplizenhaft und anerkennend gehoben. Scheint wieder die Sonne, wandelt sich der Regenfahrer flux zum Grüßmuffel.

Beliebte Strecke oder einsame Piste?

Dann wäre da noch die Region. Je einsamer, desto eher wird die Hand gehoben. Auf einsamen und selten befahrenen Pfaden, einem norwegischen Fjell, einem italienischen Bergpass oder einem brandenburgischen Nebenweg freut man sich über jeden Gleichgesinnten. Da wird sogar schon mal abgestiegen.

Nähert man sich aber den allgemeinen Lieblingsstrecken, so nimmt die Grüßbereitschaft exponentiell ab. Ist ja auch kein Wunder. An einigen Wochenenden würde man konstant einhändig fahren müssen, so viel ist manchmal los.

Enttäuschte Erwartungen

Der letzte Faktor ist Erfahrung. Es ist jetzt nicht Fahrkompetenz gemeint, sondern die Erfahrungen, die Leute mit anderen Motorradfahrern gemacht haben. Ich kenne jemanden, der aus Prinzip nicht mehr die Hand hebt. Um das zu verstehen, muss ich ein wenig ausholen.

Ursprung der ganzen Grüßerei ist ja ein durchaus begründetes Zusammengehörigkeitsgefühl, das aus einer Gemengelage aus wirtschaftlichen Gründen, Abgrenzung gegenüber statusorientierten Autofahrern, Risikoscheuen, (vermeintlich) Angepassten und anderem irgendwann Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre entstanden ist.

Grüßen ist also nicht nur bloße Höflichkeitsformel, sondern eigentlich eine Solidaritätsbekundung, die noch aus einer Zeit stammt, in der das Bordwerkzeug so wichtig war wie heute der Zündschlüssel.

Undenkbar, einen am Straßenrand mit ölverschmierten Händen über den Motor gebückten Gleichgesinnten zu ignorieren. Da hält man natürlich. Und bietet Hilfe an. Wenn aber ganze Kohorten von Motorrädern vorbeirauschen, ohne dass jemand auch nur auf die Idee kommt, dringend notwendige Hilfe anzubieten, dann sind Enttäuschung und Ärger wohl keine Temperamentfrage mehr.

Genau das soll genanntem Freund mehr als einmal passiert sein. Seitdem ist er beleidigt, ADAC-Plus-Mitglied, Besitzer einer 2 kiloschweren Tasche mit Spezialwerkzeug und einem unter der Sitzbank verstauten Zweithandy mit Zusatzakku. Die linke Hand bleibt am Lenker.

Eine der zahlreichen Beschreibungen der Regeln und unterschiedlichen Typen beim Motorradgruß aus DIE ZEIT (1996), ergänzt um ein paar amüsante Stereotypen, findet Ihr übrigens u. a. hier: http://www.schwalmbiker.de/51.html [aufg. am 11.11.18].

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5 Comments

  1. Ja, das Grüssen ist schon so’ne Sache. Eigentlich habe ich damit kein Problem. Als 2 CV-Fahrer bot sich mir in meinem früheren Leben ein erstes Übungsfeld in Sachen Solidaritätsbekundung mit Gleichmotorisierten. Jetzt ziehe ich angesichts meiner unzureichenden Erkenntniskraft verschämt meine erhobene linke Hand zurück, wenn ich an einem aufgemotzten Motorrollet oder einer Harley grüssend vorbeigeflitzt bin. Da war die Ente doch eindeutiger zu identifizieren.

  2. Das mit dem Grüßen ist so vielschichtig, dass es die eine oder andere Dissertation hergeben würde. Einen skurrilen Typen will ich noch beisteuern: Er grüßt aus Prinzip niemanden, der keine vernünftige Schutzkleidung trägt. Als ob der den Hintergrund des erhobenen Zeigefingers statt freundlichem Gruß überhaupt erfassen würde. Das geht ihm im Zweifelsfall am ungeschützen A**** vorbei.

    Ansonsten kenne ich viele BMW- und HD-Fahrer, die sich beim Thema Grüßen freundlich und sozialkonform verhalten. Und in meinen Helix-Zeiten habe ich mich über jeden echten Biker gefreut, der mich tatsächlich grüßte. Echt jetzt. Warum auch nicht.

    Manchmal mach ich’s andersherum. Laufe durch die Fußgängerzone und grüße wildfremde Menschen ganz freundlich und selbstverständlich. So, wie Biker das untereinander hat auch tun. Deren Gesichter würde ich gerne fotografieren und hier zeigen. Geht wegen der DSGVO nicht. Aber das ist wieder ein anders Thema…

    1. Hallo Raini,
      wenn du mit Helm aufm Kopp durch die Fußgängerzone schlenderst, dann werden sicher viele biker, die zu Fuß unterwegs sind, reflexARTIG, zurück grüßen.
      LIEBEn Gruß und ich winke dir zu
      rudi rüpel

  3. Hei Gypsy Chimp.
    das haste sehr gut beschrieben. Ich habe mich sofort mehrfach wiedererkannt. Ich bin der nichtgrüßende Regenfahrer, der mit seiner alten Rappelkiste, mit Benzin verschmierten Fingern, am Strassenrand hockt und an seiner Liebsten rumfingert.
    Und dabei die Arroganz besitzt all die vorbeifahrenden, winkenden „biker“ (mit kleinem b) nicht zurück zu grüßen, Nase rümpfen bei den lieben „Kollegen“ gerne in Kauf nehmend.
    Der arrogante Sack grüßt nur nach Lust und Laune. Nach Lust dann wenns lustig ist. Launisch wenns regnet. Gerne grüßt er alte Frauen, alte Männer, kleine Kinder, kleine Zweiräder, oft Fahradfahrer die sich irgendeinen Hang hoch quälen, manchmal sogar Menschen in Blechbüchsen, außerdem werden………………..
    gegrüßt. Mir sind die Leute irgendwie suspekt, die mir winken, die mich begeistert und überfreundlich ansprechen und das doch nur weil ich ein Motorrad fahre. Ich bin der, der Katzen quält und Frauen und Kinder schlägt! Jetzt reißt euch mal zusammen!
    Gypsy Chimp, obwohl es heute nur nieselt, recke ich meinen Arm in die Luft und schicke dir ein WINKEWINKE.
    LIEBEn Gruß
    rudi rüpel

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