2013 bricht die Britin Lois Pryce in den Iran auf. Mit dem Motorrad, versteht sich. Die Motivation ist so abenteuerlich wie die Reise selbst.
Anlass ist ein Zettel eines unbekannten Iraners, den Pryce eines Tags im Jahr 2011 an ihrem in London stehenden Motorrad findet. Und der sie auffordert, sich ein eigenes Bild von seinem Land zu machen. Pryce nimmt die Sache ernst.
Selbst heute werden viele eine Reise in den Iran als besonders risikoreich einschätzen. Aktuell ruft das Auswärtige Amt Reisende dazu auf, bei einem Besuch Vorsicht walten zu lassen. Seinerzeit war die Situation weitaus brenzliger. 2011 brannte die britische Botschaft in Teheran bei Demonstrationen gegen Sanktionen. Die bilateralen Beziehungen beider Länder wurden unmittelbar abgebrochen. Die Propagandamaschine beider Seiten lief auf Hochtouren
Das unfreundlichste Land der Welt
Lois Pryce ist keine Draufgängerin, die sich des Risikos nicht bewusst wäre. Im Gegenteil. Ihre anfängliche Haltung gegenüber dem Iran ist, geprägt durch die allgemein iranfeindliche Stimmung in Europa, mehr als kritisch. So spricht sie zu Beginn vom „unfreundlichsten Land der Welt“ oder der „Liste iranischer Horrorstorys“.
Gleichermaßen kritisch betrachtet sie aber auch die heimische Presse. So lautet das Credo des Buches denn auch, sich selbst ein Bild machen zu wollen. Pryce recherchiert bereits im Vorfeld gründlich und erahnt, was sich später bestätigen wird. So einfach ist es nicht mit der „Achse des Bösen“.
Die Reise selbst führt über die Türkei (per Bahn) zunächst nach Täbriz. Endpunkt der Reise ist Schiras. Dabei tritt das Motorrad in den Hintergrund, bleibt aber präsent und bestimmt letztlich die besondere Dynamik des Reiseverlaufs. Denn als Frau auf einem Motorrad mit britischem Kennzeichen provoziert Pryce letztlich das ein oder andere Abenteuer. Im Guten wie im Schlechten.
Wie ein Roman
Beeindruckend, aus deutscher bzw. britischer Sicht geradezu erstaunlich, sind die herzlichen Begegnungen, von denen Pryce berichten kann. Bedingungslose Hilfsbereitschaft, Menschlichkeit und Neugier sind die unerwarteten Fundstücke.
Damit verbunden sind zahlreiche intime Einblicke in die Alltagswelt der Einheimischen. Aber auch unliebsame und nicht ungefährliche Konfrontationen sind Teil der Reise. Diese auf den ersten Blick unauflösbare Mischung aus Gegensätzen und Kontrasten setzen sich schließlich zu einem in sich zunächst ambivalenten, zunehmend aber schlüssigen Gesamtbild zusammen.
Pryce setzt dabei aufgrund der literarisch gut aufgearbeiteten Form (auch Dank der guten Übersetzung) und der umfangreichen Recherche um, was insbesondere vielen Reiseberichten aus der Motorradwelt häufig nicht gelingt. Es ist ein Reisebericht, der sich nahezu wie ein Roman lesen lässt und dennoch informativ bleibt.
Zu leichte Kost ist das Buch deshalb aber noch lange nicht. Denn es geht um mehr. Es wird nicht einfach eine abgesteckte Route abgeklappert und von der ein oder anderen Panne erzählt. Pryce will Grenzen ausloten und überwinden. Sowohl im eigentlichen wie auch übertragenen Sinn. Was wäre dazu besser geeignet, als ein Motorrad? Dabei gelingt ihr ein kleines Kunststück. Ihre eigene Faszination und Überraschungen erschließen sich dem Leser. Aus diesem Grund hat mir die Lektüre besonderen Spaß bereitet.*
Was mich irritiert
Eine Sache irritiert mich allerdings. Pryce profitiert von der Offenheit und Selbstlosigkeit zahlreicher Menschen. Hat aber keine Probleme damit, auch sehr sensible, da regimekritische Aussagen oder Handlungen, ihrer neu gewonnenen Freunde preiszugeben, die namentlich genannt werden. Ob hier mit Pseudonymen gearbeitet wurde, ist dem Text nicht zu entnehmen.
Das finde ich merkwürdig, da Pryce immer wieder auf Überwachung, Verfolgung und grausame Bestrafung durch das totalitäre Regime zu sprechen kommt. Da sie dem Iran aber auch in den Folgejahren treu bleibt, ist (hoffentlich) davon auszugehen, dass die Autorin einen Weg gefunden hat, die den zitierten Menschen keinen Schaden zufügt. Falls nicht, wäre das nicht nur inkonsequent, sondern fahrlässig
Wer trockene Wegbeschreibung, Streckenempfehlungen und ein auf das Motorrad fokussiertes Buch erwartet, wird enttäuscht werden. Wer aber Motorradfahren als Reiseform versteht, bei der es nicht nur um das Abklappern von Wegpunkten gehen sollte, wird voll und ganz auf seine Kosten kommen. Zudem bietet der Bericht aufgrund seiner soliden Recherchen einen leichten Zugang zu wichtigem Kontext- und Hintergrundwissen eines zweifellos spannenden Landes.
*Lois Pryce (2017): Im Iran dürfen Frauen nicht Motorrad fahren … Was passierte, als ich es trotzdem tat. DuMont: Ostfildern, ISBN: 978-3-7701-6681-7.
DAS klingt sehr interessant – Danke für die Rezension! Meine Bibliothek wird sich wohl wieder erweitern 😉
Danke für die Buchempfehlung. Das Buch ist mir mal aufgefallen, aber weil andere Themen in meinem Leben relevanter waren hatte ich es nicht mehr auf dem Schirm. Jetzt wo ich wieder mit dem Motorradfahren beginne, werde den Reisebericht mit grossem Interesse lesen. Vor allem weil ich vor Jahren selbst mit der Enfield im Iran getourt bin. Was das Label „unfreundlichstes Land der Welt“ betrifft: Ich war von der Freundlichkeit der Menschen und den vielen positiven Erlebnissen dort angenehm überrascht.
Herzliche Grüsse
derhalbhartemann.com
Wenn ich mir Deine Blog-Bilder so ansehe, wirst Du womöglich keine Überraschungen erlesen. Seinerzeit gab es allerdings noch kein Couch-Surfing. Vielleicht eine Anregung für die nächste Iran-Tour?
Nein, Couchsurfing gab es leider nicht. Wir haben auf der Strasse Bekanntschaften geschlossen und manchmal dann die Menschen in ihrem privaten Umfeld besuchen dürfen. Das private ist dort eine eigene Welt. Das waren sehr schöne Erfahrungen. Sollte ich nochmals das Land bereisen, wäre Couchsurfing eine spannende Option.
Herzliche Grüsse
derhalbhartemann.com