Rezension zu „Erlenbruch“ von Gerd de Bruyn

Pötte, Elsen, MC Bones, Kreidler, BMW. Eine Lesereise in die 60er. Der Stoff: ein waschechter Motorradroman.

Was ist ein Rockermärchen? Das frage ich mich zunächst, denn das steht als Untertitel auf dem pechschwarzen Einband. Der Klappentext sagt dazu, dass die Geschichte für alle Personen gut ausginge. Und deshalb ein Märchen sei. Ich bereite mich auf Fatalismus und schlechte Laune in Textform vor, werde aber erfreulicherweise überrascht.

Erwartet hatte ich auch, gleich in die Welt irgendeines Rockerclubs eingeführt zu werden. Stattdessen setzt der Roman in der pubertären Phase eines Teenagers in den späten 60er Jahren an.

Rotzig

Das ist einer der Gründe, weshalb ich mich sofort festlese. Der Handlungsstrang ist weitgehend wie bei einem Entwicklungsroman angelegt. Werther lässt grüßen.

So tauche ich ein in die einfach gestrickten Gedanken eines 17jährigen und eine Welt, in der Mädchen als „Elsen“ und Motorräder als „Pötte“ bezeichnet wurden. Der rotzige Slang damaliger Jugendsprache provinziell geprägter Randzonen deutscher Städte ist gut getroffen. In dem berichtet der Erzähler über die Abenteuer der Hauptfigur, der keine nennenswerten Ambitionen entwickelt bis auf den Wunsch, Mitglied des MC Bones zu werden.

Was die Geschichte letztlich zum Motorradroman macht, sind vor allem die zahlreich genannten Mopeds und Motorräder, die die Szenen einrahmen. Ich nehme an, dass dem ein oder anderen, der in dieser Phase aufgewachsen ist, gerade deshalb ein nostalgisches Erinnerungslächeln übers Gesicht huschen wird. Für sie ist eine Kreidler Florett RS nicht einfach nur ein Name, ihnen hat eine R 75/5 BMW mit hoher Wahrscheinlichkeit mal ehrfürchtige Gänsehaut verursacht und sie wissen von einer Zeit, in der eine Horex Regina 400 als unliebsamer Eisenhaufen galt.

Die Handlung spielt zu einer Zeit, in der ein Motorradclub in Deutschland noch etwas anderes war als heute. Zum Beispiel saß der prototypische Rocker des MC Bones nicht auf einer Harley-Davidson. Das bis heute hochgehaltene Ideal der Freiheit – also die Loslösung von gesellschaftlichen Zwängen als wesentlichem Merkmal der Rockerbewegung – klingt zumindest an.

Ein bisschen mehr Milieu würde nicht schaden

Allerdings habe ich mir von einem „Rockermärchen“ mehr erwartet. Generell mehr Einblicke ins Milieu beispielsweise. Denn das, was die Hauptfigur hinter den Türen des Clubheims erlebt, bleibt ungenannt und spielt für den eigentlichen Handlungsstrang nur eine untergeordnete Rolle.

Auch das Schicksal des Patch-Overs, das auch den MC Bones ereilte, wird nur angerissen, nicht aber ausgebaut. Infolgedessen finde ich es ein wenig schade, dass sich nur erraten lässt, weshalb sich der Held so von dieser Welt angezogen fühlt.

Ausführlicher wird hingegen aus dem studentischen Milieu berichtet, in dem unser Held allerdings nur Zaungast bleibt. Das macht die Geschichte nicht ganz rund. Zu diesem Eindruck trägt auch das gehetzt dahingeschrieben wirkende Ende bei. Auf den abschließenden Seiten wird ein enormer Zeitsprung gewagt, der den bis hierher insgesamt elastischen Bogen überspannt. Das Leben der im Mittelpunkt stehenden Figur wird nahezu abgewickelt.

Dann gibt es ein paar Stellen, die ich nicht so recht nachvollziehen kann. Das immer wieder auftauchende „Damals“ des im Hintergrund bleibenden Erzählers beispielsweise. An einigen Stellen gibt sich der Text wie eine autobiographische Erinnerung, an anderen wie der unbeteiligte Report eines Berichterstatters.

Empfehlung

Es steht jedoch fest, dass das Buch ein waschechter Motorradroman ist. Und zwar nicht nur aufgrund der zahlreich genannten Mopeds und Motorräder.

Besondere Erwähnung verdienen noch die ganzseitigen, meist düsteren Aquarelle von Alexander Misch, die die Handlung begleiten und sehr gut zu der dichten, gelungenen Beschreibung des Lokalkolorits passen. Da lässt sich leicht in eine Zeit abtauchen, die in der deutschen Motorradwelt bis heute merklich nachhallt. Auch deshalb hat sich dieser Roman eine Leseempfehlung für Motorradfahrer sehr wohl verdient.

Gerd de Bruyn (2019): Erlenbruch. Ein Rockermärchen. Edition Staub Literatur, Neuss. ISBN: 978-3-928249-83-6.

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1 Comment

  1. Lieber Gypsy Chimp.

    Da bist du mir ja zuvorgekommen. 🙂 Das Buch steht auch auf meiner Leseliste, denn eine Textprobe hatte mich absolut fasziniert. Ebenso der Autor. Eine beeindruckende Mischung aus Intellekt, Kunst und kernigem Biker. Ich bin gespannt zu welchem Schluss ich nach der Lektüre kommen werde.

    Deine Buchkritik ist wieder einmal sehr lesenswert. Lustig, dass ich nächste Woche auch eine Buchbesprechung in der Pipeline habe. Aber da geht es um ein ganz anderes Milieu. 😀

    Herzlich Thomas

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