Auf einem Patch las ich den Slogan „Give Respect. Get Respect.“ Vor mir ein Stück Transferstrecke. Gelegenheit zum Grübeln.
Immer wieder lese und höre ich, dass es an Respekt fehle. Vor allem, aber nicht nur, in Motorradgruppen. Es „mangelt“, „braucht“, „benötigt“ ihn, so der Tenor. An Respekt, so scheint es, hapert es im Straßenverkehr. Im Allgemeinen sowieso.
Womöglich verstehe ich nicht, was eigentlich gemeint ist. Denn wenn von Respektlosigkeit die Rede ist, steigt vor meinem inneren Auge das fiktive Bild eines Kindes auf, dass im Zugabteil gegenübersitzt und Dir, den Finger in die Nase bohrend, die Zunge rausstreckt.
Die Eltern beginnen dann zu maßregeln. Vielleicht so: „Das macht man nicht! Das ist respektlos! Älteren Menschen streckt man nicht die Zunge raus.“ Ja, wieso eigentlich nicht, würde ich dann gerne wissen wollen. Zunächst hatte ich deshalb die Vermutung, dass Höflichkeit oder Freundlichkeit gemeint sein könnten.
Höflichkeit?
Höflichkeit, finde ich, ist eine feine Sache. Höflichkeit entspricht ja letztlich genormtem Verhalten, das den feinen Effekt hat, dass wir alle etwas reibungsloser, etwas leichter durch unser gemeinsames Leben kommen.
Jemanden aussprechen zu lassen, ist beispielsweise höflich. Da die deutsche Sprache nun mal so angelegt ist, dass eine wichtige Sinneinheit am Ende zu finden ist, ist es meistens sogar notwendig. Grüßen ist höflich. Einem älteren Menschen den eigenen Sitzplatz anzubieten ist höflich.
Höflichkeit entspringt meist einer Notwendigkeit, verselbstständigt sich und regelt gesellschaftliches Handeln. Höflichkeitsregeln gelten allen und nehmen niemanden aus.
Wie wärs mit Freundlichkeit?
Freundlichkeit hingegen geht über Höflichkeit hinaus und ist eine sehr individuelle Angelegenheit. Man sollte höflich, muss aber nicht freundlich sein. Freundlichkeit ist immer aus sich selbst heraus motiviert. Das ist das Schöne daran. Und deshalb kann man sie auch nicht einfordern.
Denn Freundlichkeit ist nur dann echt, wenn Hintergedanken oder Zwang ausgeschlossen werden können. Freundlichkeit ist also immer ins Gewand der Großzügigkeit gekleidet. Freundlichkeit ist selbst dann zum Geben bereit, wenn beim anderen nichts zu holen ist.
Re-spekt
Und Respekt? Bei Respekt werde ich ein wenig misstrauisch. Denn Respekt kann eigentlich immer nur nachträglich gezollt werden. Re-spekt. Beurteilende Rückschau. Für Status, das bloße Sein oder Besitz ist Respekt nicht angebracht.
Man kann ein wenig über eine vergoldete Kloschüssel staunen, wenn man denn unbedingt will. Oder auch über einen lauten Auspuff. Aber mehr wäre zu viel.
Könige, Diktatoren, Autokraten und andere Machtbesessene fordern nicht ohne Grund regelmäßige und eigentlich immer unangemessene Respektbezeugungen ein: den Kniefall, den Tribut, das Hurra, den großen Jubel unterm Triumphbogen. Respekt ist die Vorstufe zum ehrfürchtigen Erzittern.
Ich sage: ist doch Mumpitz! Denn Respekt muss erarbeitet werden. Immer wieder. Für eine besondere Leistung oder Tat ist Respekt angemessen. Dann kann man respektvoll die Schulter klopfen, den Daumen heben, Lieder dichten oder das Gehalt anheben.
Aber die Respektbezeugung bezieht sich immer nur auf diese einzelne Leistung oder Handlung. Auf mehr nicht. Alles andere droht, zum Personenkult zu werden.
Oder Wertschätzung?
Vielleicht ist aber auch einfach nur das Gegenteil von Geringschätzung gemeint? Wertschätzung also. Das fände ich dann wieder fein! Ist nämlich sauberer, und Gelüste auf die grundlose Huldigung sind von vornherein ausgeschlossen. Wertschätzung ist die Aufforderung, sein Gegenüber wahrzunehmen. Und nicht zu ignorieren.
Vor nicht allzu langer Zeit ging ja diese Geschichte bei einem Supermarkt durch die sozialen Medien. Eine Kundin deutete auf eine Fachverkäuferin und soll ihrem Kind damit gedroht haben, dass es, würde es nicht endlich für die Schule lernen, ebenfalls hinter der Theke landen werde.
Das ist nicht einfach nur Respektlosigkeit. Das ist Verachtung, Dünkel, Überheblichkeit und Arroganz. Um derartige soziale Neurosen zu beheben, hilft der Schulgang ganz offensichtlich nicht. So lange nicht Kants kategorischer Imperativ zur Pflichtlektüre erklärt wird. Weltweit und möglichst ein Jahr lang, bis schließlich auch der Letzte verstanden hat, worum es da geht.
Es würde doch vollkommen genügen, wenn es uns allen gelänge, höflich, freundlich und wertschätzend miteinander umzugehen. Wir könnten dann wohl sogar einen Großteil unserer Verkehrsregeln abschaffen.
Aber Respekt braucht’s, meine ich, eigentlich nicht.
Rücksicht kann man geben. Respekt will man haben.
So würde ich es zusammenfassen. Leider vertauschen das manche Zeitgenössinen und -nossen wenn sie für sich selbst „Rücksicht fordern“ (also eigentlich Respekt haben wollen), aber selbst nichts dafür getan haben – oder gänzlich im Unrecht sind.
Beispiele dafür gibt es im Straßenverkehr täglich. Ich brauche keine aufzuzählen, es fallen jedem sicherlich genügend ein wenn er an seine letzte Fahrt mit Auto, Motorrad oder Fahrrad zurückdenkt.
Höflichkeit passt auch nicht so recht. Denn um das Beispiel mit dem „Menschen ausreden lassen“ aufzugreifen: Manche Zeitgenössinnen und -nossen lassen ihr Gegenüber nur deshalb ausreden damit sie in dessen Atempause das erzählen können was sie erzählen wollen. Zuhören? Nein. Atempause abwarten? Ja. Das ist aber weder höflich noch respektvoll noch hat es etwas mit Rücksichtnahme zu tun.
»Give Rücksicht, get Rücksicht« sollte auf einem Patch stehen. Oder auf englisch: „give respect, get respect“. Vermutlich ist genau dieses »Rücksicht nehmen und geben« gemeint und nicht »Respekt«?
Lost in translation?
Auch eine schöne Auflösung. Gefällt mir sehr!
Respekt! Ein schöner Text. Ich sehe das mit dem Begriff eher angelsächsisch locker. Also als Achtung, das heisst als Anerkennung der Würde oder als Anerkennung einer besonderen Leistung. Da der Begriff so herrlich unscharf in der Bedeutung ist, freuen sich die Menschen, wenn ich ihnen Respekt zolle. Und für mich ist es spannend herauszufinden, welche Botschaft da gerade in deren Köpfen entstanden ist.
Herzlich
DER HALBHARTE MANN
Wieder ein herrlicher Beitrag, der kommentiert sein will!
Ob der Träger des Patches absehen konnte, was er damit auslösen wird?
Solch ein Aufnäher auf Jacke oder Kutte könnte aber auch einzig und allein dem banalen Zweck dienen, einen Riss im Leder zu überdecken.
Ist ein solcher Gedanke respektlos?
Letztendlich geht es um Menschlichkeit. Seinen Gegnüber so behandeln, wie man selbst behandelt werden möchte. Wie man es nennt, spielt am Ende keine Rolle! Man kann selbstverständlich jeden Begriff eines gewissen Verhaltens unterschiedlich deuten – eine Frage von Sender und Empfänger.
Deshalb begegne ich Menschen auf Augenhöhe, ob Biker, Autofahrer, Radfahrer oder Fußgänger. Ob jung oder alt, stark oder schwach. Wenn Du mit Menschen auf Augenhöhe sprichst, machst Du in der Regel nichts falsch 🙂