Polarisierung

Weshalb ist immer wieder von rücksichtslosen oder egoistischen Motorradfahrern zu lesen und zu hören? Es wird Zeit, sich das Verhalten aller im Straßenverkehr Beteiligten genauer anzusehen.

[Hier ist eigentlich ein Bild: Drei Motorräder von BMW, deren Vorderreifen sich berühren. Die Fahrer tragen T-Shirts und Helme im Vintage-Stil.]

Motorradfahren polarisiert. Anwohner, die sich über saisonbedingte Störungen beklagen, Initiativen, die die Sperrung beliebter Streckenabschnitte bewirken, Autofahrer, die sich über den gefahrvollen Fahrstil von Helmträgern aufregen. Bekannte, Freunde und Kollegen belächeln den Wiedereinsteiger: „Aha. Midlife-Crisis!“.

Motorradfahrer – Freaks und Egomanen?

Ich habe den Eindruck, dass Motorradfahrer nicht selten für Freaks gehalten werden, die sich in beinahe religiösem Eifer in jeder freien Minute ölverschmiert in der Garage aufhalten.

Oder auch von ihren überzüchteten Maschinen überforderte Fahrer, die sich in Naherholungsgebieten zum Rennen treffen. Also Menschen mit Tendenz zur latenten Verantwortungslosigkeit. Egomanen des Straßenverkehrs mit Attitüde zu sinnentleerter Rebellion.

Ja, die gibt es natürlich. Aber die Masse sind sie nicht. Die in der Mitte, die zahlreichen Normalos, die Rücksichtsvollen, die Harmlosen, die Genussfahrer, die vorausschauend Fahrenden, die Unspektakulären sind in der Überzahl. Zumindest statistisch. In der Wahrnehmung der Umwelt aber offenbar nicht.

König Auto

Woran liegt’s? Vielleicht auch daran, dass der Verkehr bei uns von und durch Autos dominiert ist. Die gesamte Infrastruktur ist dahingehend ausgelegt. Ausnahmen gibt es selten und werden, so scheint es mir, zunehmend weniger beachtet. Nein, beachtet ist das falsche Wort. Sie sind möglicherweise nicht mal mehr bekannt. Ich denke da zum Beispiel an Fußgänger, die sich an einer Kreuzung selbst dann nicht über die Straße trauen, wenn sie Vorrang haben.

Möglicherweise hat sich in die kollektive Meinung eingegraben, dass Autos generell an erster Stelle zu stehen haben. Wenn ihnen der Platz streitig gemacht wird, und Motorradfahrer haben in dieser Hinsicht selten Manschetten an, ist bei einigen emotional aufgeheizte Entrüstung die Folge. Man könnte es, als neue Wortschöpfung, Autozentrismus nennen. Wie bei allen Zentrismen (wie Egozentrismus, Eurozentrismus, Sinozentrismus und so weiter und so fort) lautet das Credo: „Der Mittelpunkt des Universums bin ich.“

Wenn Vernunft keine Rolle spielt

Folgendes kommt mir in den Sinn. Im Norden fährt man öfter mal Fähre. Über den Nord-Ostsee-Kanal oder die Elbe beispielsweise. Für Autofahrer bedeutet das in der Urlaubssaison: man sollte ein dickes Buch bereitliegen haben. Denn lange Warteschlangen sind an der Tagesordnung. Fährt man mit dem Motorrad an einer solchen Schlange vorbei, dann können demonstratives Kopfschütteln, erboste Handzeichen und unangenehme Rufe folgen.

Wer echauffiert sich hier? Es sind meist Urlauber aus südlichen Regionen, die mit dem Fährprozedere nicht vertraut sind. Denn für Zweiräder ist am Kopf der Warteschlange wie auch auf den Fähren selbst in der Regel eine eigene Zone eingerichtet.

Das ist sinnvoll, denn Motorräder nehmen im Pulk weniger Platz ein und lassen sich zudem auch an den Seitenrändern unterbringen, wo kein Auto hinpassen würde. Die Einweiser nutzen zudem die Möglichkeit, in die noch übriggebliebenen Lücken das ein oder andere Zweirad zu quetschen. Eigentlich also eine Win-Win-Situation. Reihte sich ein Motorrad in der Schlange ein, nähme es auf der Fähre zu viel Platz ein. Das wäre ineffizient. Und würde alle Beteiligten noch mehr Zeit kosten.

Mir ist nach wie vor ein Rätsel, weshalb dieses bewährte Prinzip nicht auf sämtliche Stausituationen übertragen wird. Aber das ist ein anderes Thema. Die grundsätzliche Haltung der Lamentierer und Kopfschüttler ist jedenfalls befremdlich. Zugutehalten kann man ihnen, dass der Gesamtüberblick fehlt. Und wenn sich tatsächlich das Selbstverständnis in den Köpfen eingegraben hat, dass ein Auto an erster Stelle zu stehen hat, ist die Reaktion zumindest nachvollziehbar.

Vernünftig ist sie nicht.

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5 Comments

  1. Moin Gypsy,

    danke für Deine neuen erfrischen Innenansichten :-))
    Natürlich sind alle Mopedfahrer Freaks! Wer setzt sich schon freiwillig Wind, Wetter und Knautschzonenfreiheit aus, die ein bräsiger Autofahrer in seiner warmen Kutsche niemals erfahren würde? Allein der Spaß am Fahren mit dem Motorrad soll all diese Nachteile wieder aufwiegen? Ja tut er.

    Und natürlich sind wir eine Autorepublik, wo sich eine radikale Mobilitätsreform ganz schwer tut, trotz der täglichen Perversion von Staumeldungen und vom Auto verstopften Innenstädten.

    Ich bin ganz froh, ein Freak zu sein, gehört man doch zu einer kleinen feinen Minderheit mit erstaunlich starkem Zusammengehörigkeitsgefühl. Wo kämen wir denn hin, wenn jeder Auto-Hanz und Franz auf’s Mopped steigt? Nö, das will ich nicht.

    Liebe Grüße

    1. Hallo Jan,
      schön daß es noch Freaks gibt. Aber wo ist die kleine feine Minderheit? Und sag uns doch bitte woran du dieses starke Zusammengehörigkeitsgefühl ausmachst.
      LIEBEn Gruß
      rudi rüpel

  2. Volle Zustimmung: Die Masse der Motorradfahrer zählt nicht zu den Egomanen des Straßenverkehrs! Einzelne, eine Minderheit prägt das Gesamtbild. Hinzu kommt sicher auch eine Art Neidkomplex: Biker nutzen Freiräume, die z.B. der im Stau schwitzende Autofahrer nicht hat. Und dann der systembedingte „Autozentrismus“, man denke nur an den Einfluss der Autoindustrie auf das politische Geschehen in unserem Lande, Stichwort „Abgas-Skandal“. Mit Vernunft hat das alles nichts zu tun. Aber Polarisierung durch Schwarz-Weiß-Malerei macht alles schön einfach und damit begreifbar und die Welt ist in Ordnung, bis auf die Motorradfahrer, diese verfluchten Heizer.

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