Corona. Oder: Objects in the mirror are closer than they appear

Österreich hat die Grenzen geschlossen und in Bayern wurde der Ausgang eingeschränkt. Zu allem Überfluss hat es geschneit. Keine gute Zeit.

Für mich Grund genug, eine Motorradpause einzulegen. Die Maschinen werden wieder eingemottet. Da wir beruflich komplett auf Online-Betrieb umstellen, sind die Wochenenden und Abende ohnehin mit Arbeit gefüllt.

Die Situation erscheint mir wie ein großes soziales Experiment, eine Art Stresstest für die Gesellschaft. Wie dünn das Fell bei einigen ist, überrascht mich. Eine Schlägerei im Supermarkt um die Ecke zwischen zwei Frauen fällt mir ein. Die eine will mit einem bis oben hin gefüllten Einkaufswagen abdampfen, tatsächlich dem letzten Rest der Ware, die andere stellt sie zur Rede. Die Antwort ist ein Fausthieb ins Gesicht.

Es geht nicht um Medikamente, das letzte Stück Brot dieser Welt oder irgendetwas anderes Überlebenswichtiges. Es geht um Toilettenpapier! Mit dem Drehmoment einer hochgezüchteten Ninja H2R wird von zivilisiert auf Konfliktstufe neun beschleunigt.

Sprachlos

Gestern stand ich vor dem leeren Regal und grüble bis heute, was der Grund sein mag. Mir fällt aber nichts ein. Deshalb zitiere ich die Kassiererin mit den tiefen Augenringen: „Alle verrückt. So viel scheißen kann man gar nicht.“

Sogar die einbalsamierten Taschentücher sind ausverkauft. Während wenige derzeit also ihre Folgegeneration mit Toilettenpapier versorgt haben, laufen andere mit duftendem Hintern durch die Gegend. Der Rest macht es wie in Indien. Ist sowieso hygienischer als das lästige Rumgeschmiere. Das fällt mir ein, als ich die Verkleidung der in Indien gebauten Bullet abbaue.

Es wird berichtet, Teenager würden ältere Leute anhusten, um dann, „Corona! Corona!“ schreiend, Fersengeld zu geben. Freunde erzählen von vollen Cafés und Bars, dann regelrechten Corona-Partys in den Großstädten. In einem Fernsehinterview begründet eine junge Frau ihr Verhalten damit, dass sie beruflich ohnehin mit vielen Menschen in Kontakt käme. Da mache es keinen Unterschied. Macht es natürlich. Aber wieso erkennt sie das nicht? Entgeisterung, im wortwörtlichen Sinne.

Echte Helden

Glücklicherweise drehen nur einige am Rad der Hysterie. Alle anderen bleiben zuhause, machen ihren Job, helfen sich gegenseitig aus, gründen Nachbarschaftshilfen, bieten Ärzten Unterstützung bei der Kinderbetreuung an und bringen sich mit guten Ideen ein.

Vielleicht, hoffentlich, wird Corona etwas Gutes bringen. Nämlich eine Neubewertung von Wert und Qualität bestimmter Tätigkeiten. Dass ich Börsenspekulanten & Co. nicht dazuzähle, dürfte klar sein.

Pflegekräfte, Krankenhauspersonal, LKW-Fahrer, Verkäufer, Putzkräfte und viele andere stehen momentan an der Front und wuppen die ganze Sache stoisch und ohne Klagelaut. Echte Helden. Das denke ich mir, als ich die Batterie schweren Herzens aus der Bullet ziehe.

Aber der Faustkampf im Supermarkt und die junge Frau aus dem Interview verfolgen mich. Dann schaue ich durch Zufall in den Spiegel des Motorrads und lese, was mir sonst nie aufgefallen ist.

„Objects in the mirror are closer than they appear“ hat Royal Enfield dort eingraviert. Eine Mahnung. Und ja, das ist wohl auch die Erklärung.

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5 Comments

  1. »ignorance is bliss – Unwissenheit ist Glückseligkeit«

    Was bis vor vielleicht noch 3, maximal 4 Tagen galt, sollte nun eigentlich zumindest in Bayern und im Saarland vorbei sein.

    Mein Tipp: Schau nicht in die sogenannten »Sozialen Medien« hinein. Da toben teilweise heftige Kriege welche den Faustschlag im Supermarkt wie einen Wurf mit einem Wattebausch aussehen lassen.

    »Vielleicht, hoffentlich, wird Corona etwas Gutes bringen. Nämlich eine Neubewertung von Wert und Qualität bestimmter Tätigkeiten.«

    Das wünsche ich mir.

    Leider erinnere ich mich gerade an H. G. Wells »Zeitmaschine« und frage mich, wie damals im Buch die Morlocks und Eloi entstanden sind. Vielleicht sind wir gerade live dabei? Ich hoffe es nicht…

    1. Morlocks und Eloi! Stimmt. Auf einem Kindergeburtstag zu Grundschulzeiten wurde der Streifen gezeigt. Wir hatten früher keinen Fernseher und ich war absoluter Neuling, was bewegte Bilder anging. Monatelang haben mich Albträume verfolgt. Ich kann mir jedenfalls vorstellen, dass jetzt auch eine Menge guter Dinge entstehen, die wir in die Zeit danach mitnehmen werden.

  2. Ich habe den ersten Mad-Max-Film – die Älteren unter uns dürften sich erinnern – früher geliebt. Die existenzielle Suche nach den letzten Litern Superbenzin für den V8 wurde irgendwann mit dem Filmchen „Jenseits der Donnerkuppel“ fortgesetzt. In die aktuelle Phase transferiert könnte eine Persiflage nun auch gut „Jenseits der Donnerschüssel“ heißen – die Menschheit auf der Jagd nach den letzten Blättchen Klosettpapier und den letzten Tropfen Antisepticum.

    Die Lage ist ernst und der Warnhinweis „Objects in the mirror are closer than they appear“ passt absolut in die Zeit. Bleibt alle gesund!!

    1. Hahaha! Jenseits der Donnerschüssel. Greifen ARD oder ZDF ja möglicherweise sogar auf, sobald sich der Staub gelegt hat. Und ja, Du auch, bleib gesund!

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